In stiller Sonne
Während der Arbeit zu Roman Haubenstock-Ramati’s “Amerika” am Grazer Opernhaus fuhr ich Abends immer in einer langen, mit großen, runden, ruhigen Bäumen bepflanzten Allee (Kastanien würde der Botaniker sagen) an einer auf mich eine seltsame Anziehung ausübenden Baustelle vorbei: Der exotische Reiz rührte wie von einem fernen Planeten, deren formal und technologisch überlegene Bewohner eine Raststätte auf unserer Erde bauten. Elliptisch gebogenes Gestäng wies skeletthaft in den dunklen Nachthimmel und regte die Phantasie an, über die intuitiv erkennbaren Proportionen, die silbrig schimmernde, aus galaktischen Metallen geschmolzene Legierung und die daraus resultierenden geheimen Kraftfelder zu spekulieren.
Nach der aufregenden Premiere in der Oper ist die Arbeit in Graz beendet - die eigentümliche Baustelle vergessen - ein Jahr vergeht ...
Plötzlich ein Anruf aus Graz - ein Kompositionsauftrag: wofür? - werde ich vor Ort erfahren: Leicht verunsichert (noch nie ergeht eine derart unspezifische Einladung an mich) reise ich an, werde mit Dr. Dreibholz bekanntgemacht, der mich zu den im Bau befindlichen Glashäusern des botanischen Instituts der Grazer Universität entführt und eine spezielle Raum-Musik dafür anregt: Wie von einem leichten Beben gerührt, finde ich mich auf der oben beschriebenen Baustelle wieder ...
Das Resultat ist eine in sich wachsende Musik, die - gleichsam wie eine Pflanze - je nach Tages- und Uhrzeit eine leicht veränderte Struktur hörbar macht und doch immer die gleiche Gestalt zeigt: Aus mehreren im Raum verteilten und visuell anonym gehaltenen Klangquellen ertönt eine Gesamtheit, die je nach Position des Zuhörers einen anderen Akzent erhält und deren Einzelteile unabhängig durch die Zeit reisen:
Die in Raum und Zeit unterschiedlich sich bewegenden “Klangkörper” treffen in stets neuen Verwandschaften aufeinander und bilden einen immerwährenden , lebendigen Akkord - eine musikalische Textur, die sich im changierenden Grün der Pflanzen, im unendlich bewegten Glitzern versprühten Wassers, in den tausenderlei Kristallen des Kakteensandes wiederspiegelt.