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Der Unterschied  –  über Live-Elektronik

Man drückt auf dem Klavier eine ausgewählte Taste mit einer bestimmten Kraft – es erklingt ein bestimmter Ton in einer bestimmten Zeit mit entsprechender Lautstärke. Virtuosität erlaubt, viele verschiedene Töne gleichzeitig oder unterschiedlich schnell und laut hintereinander zu spielen. Nennen wir es Partitur oder Improvisation, Kontrapunkt oder Harmonie – unser Jahrhunderte altes Musizieren wird weiter perfektioniert, neueste Spieltechniken erlauben Unerhörtes.

 

Man kann die elektronischen Instrumente ebenso benutzen, Frequenzquellen mittels Tastatur oder Sequenzer ansteuern, detto Filter, Hüllkurven und Verstärker gleichermassen aktivieren und zu 90% ist das Ergebnis klar. Die letzten 10% werden beim Feineinstellen der einzelnen Module raffiniert. Der Prozentsatz verschiebt sich bei neugierigen Geistern sicherlich, da das direkte Feedback dieser Apparate, mehr auszuprobieren geradezu herausfordert, sodass aus den 10% schnell 60% oder mehr werden können. Es gibt viele Beispiele aus verschiedensten Musikrichtungen. Das berühmteste: Switch-On Bach / Wendy Carlos.

 

Das elektronische Instrumentarium hat aber eine erweiterte, eine revolutionäre Perspektive. Wendy Carlos hat pionierhaft die Klangfarbenpalette mithilfe von Robert Moog erweitert, Tangerine Dream, Jean-Michel Jarre etc. verzaubern uns mit neuen Klangüppigkeiten. Das ist aber nur eine Fortführung einer post-Mahlerschen Welt – im besten Fall –, kaum berührt von Gedanken des Futurismus, Dadaismus, ganz zu schweigen von (post) seriellen Ideen. Gerade diese aber haben den einzigen Quantensprung in der sonst über tausende Jahre stetig evolutionär verlaufenden Entwicklung der Musik gedanklich vorbereitet: es ist mit den elektronischen Werkzeugen möglich geworden, zwischen den unterschiedlichen Kategorien von Rhythmus, Tonhöhe und Klangfarbe ein Kontinuum herzustellen! Das ist das radikal Neue, der revolutionäre Sprung. Rhythmus kontinuierlich um Vielfaches beschleunigen, wie es mit mechanischen Musikinstrumenten unmöglich wäre, bis er plötzlich als Tonhöhe erscheint. Angewandt schon in frühen Stücken der elektronischen Musik mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für neue Strukturen des Denkens und Musizierens. In der Folge stellt Karlheinz Stockhausen fest: „Die Bereiche unserer Wahrnehmung sind Bereiche der Zeit, und diese Zeit wird von uns unterteilt, durch unsere Physiognomie und die Organe unserer Wahrnehmung … was wir als Rhythmus, Melodie und Klangfarbe charakterisieren, sind nichts anderes als unterschiedliche Geschwindigkeiten (desselben Materials)“.

 

Das oben erwähnte direkte Feedback dieser Instrumente erlaubt im Live-Betrieb einen bis dato undenkbaren Balanceakt in/mit diesen neuen Strukturen, vergleichbar mit Wellenreiten. Einzigartig ist die Position, einerseits die Wellen, Strömungen und Windrichtungen selbst kreieren zu können und andrerseits aufs Surfbrett zu steigen, um auf dem entfesselten Element elegant zu reiten. Faszinierend, wie man – ursprünglich für alle wirkungsmächtigen Vektoren verantwortlich – die Seiten wechselt und sich ihnen „ausliefert“. Ja vielmehr: dass man beide Rollen gleichzeitig exerziert, als Puppenspieler und Puppe.

 

Der Motor, der Treibstoff und das Ergebnis dieser Schöpfungsmaschine entstehen durch die gezielte Komposition der einzelnen Module, ihrer vielschichtigen Verschaltung untereinander und dem geschickt virtuosen Eingreifen in den Spannungsverlauf. Wie im neuronalen Netzwerk gibt es wenig Linearität. Die Hierarchien beeinflussen sich kontinuierlich, bishin zum Verschwinden im Malstrom der geflechtartigen Verbindungen. So entstehen ungewöhnliche, neue Bedeutungsebenen. Die Kreuzungspunkte münzen Information wie Synapsen um, die zuerst unhörbar steuernde Hilfsspannungen werden als klingendes Ergebnis an die akustische Oberfläche geschleudert und bewirken in vom Spieler ungleich gewichteten Feedbackschleifen Re-Aktionen im gesamten System. Tonhöhe wird Rhythmus wird Klangfarbe und umgekehrt. Sie sind keine unabhängigen Grössen, sondern generieren sich in angeborener Abhängigkeit (die Schöpfungsmaschine) aus einer gemeinsamen Urmasse. Kunstfertigkeit und Reaktionsfreude formen daraus musikalische Logik.

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