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un- vor-her sebar

Bemerkungen zu meiner musikalischen Arbeit, gespiegelt  “In stiller Sonne”

 

 

Nach monatelanger Arbeit an einer Partitur kommt man zwar zu dem vorgenommenen Rendezvous:

Das “Mädchen” ist aber ein anderes.

Es gibt keine Improvisation; es gibt nur Interpretation.

Das einzige was man als “Improvisation” bezeichnen könnte ist die Komposition:

die Niederschrift einer neuen Musik.

Roman Haubenstock-Ramati

 

 

Die im abendländischen Denken so lange erarbeitete “Logik” eines Kunstwerkes hat immer wieder neue Auswege gezeitigt, um der mathematischen Attitude, die uns erst die Gestaltungs(Proportions)regeln schenkt, möglichst zu entfliehen.

Diese ambivalente Haltung dem Schöpfungsprozess gegenüber wird durch die Technologie der elektroakustischen Musik in beiden Extremen gefördert und verschmilzt noch mehr die Einzelteile: Idee - Material - Struktur (Form).

 

Was ich damit meine:

Überspringen wir sowohl die Entwicklung unserer abendländischen Tonsysteme, als auch die Hand in Hand gehende Entwicklung des klassischen Orchesterinstrumentariums, als auch die sich natürlich daraus ergebende Vielfältigkeiten der musikalischen Formen: Setzen wir diese große, logische Entwicklung unseres Kulturkreises der letzten ca.1400 Jahre voraus und sehen die Konklusion: Alle Skalen - nicht nur die sich in Halb- und Ganztönen bewegenden Tonleitern, sondern u.a. auch die “Chromatik” (chromos=Farbe) der Instrumentationsmöglichkeiten (z.B. Holz- und Blechblasinstrumente etc.) und viele andere musikalischen Denk- und Konstruktionsansätze tendieren auf Grund heutiger Technologie (die uns ihrerseits wieder durch jahrhundertelange Entwicklung zur Verfügung steht) zu einer diskontinuierlichen Skala: Es herrscht totales Kontinuum. 

 

Gibt es aber wirklich die Freiheit der Kunst?

 

Wird das klassisch tonale Denken von einem Weltbild geleitet, das durch die Gesetze von Schwerkraft und Anziehung bestimmt ist, sind unsere unaufhörlichen Expansionsgelüste sicher durch andere Kraftvektoren kontrolliert.

Im Gegenteil: Die totale Material- und Formverfügbarkeit erfordert eine noch klarere Kontrolle von “Spielregeln”, um aus dem nichtssagenden Grauwert aller Möglichkeiten eine definierte und somit erfahrbare Gestalt erstehen zu lassen. So kommen wir zurück zu der für mich so wichtigen Frage der Verschmelzung oder anders ausgedrückt: Der gegenseitigen Bedingheiten, die, einander abwägend, das Stück formen.

 

 

Der zweite Schritt kann durch den ersten, der dritte durch den zweiten, etc. erklärt werden:

Der erste Schritt kann überhaupt nicht erklärt werden.

Roman Haubenstock-Ramati

 

In “eine wahre Geschichte” habe ich über den “ZU-FALL” (laut C.G.Jung ist Zufall Ordnung außerhalb der Kausalität) des langen Geburtsmomentes zu “In stiller Sonne” referiert (scheinbar mehrere erste Schritte). So scheint auch die Wahl der Mittel zu dieser Komposition einem (auch mir) geheimen Plan zu unterliegen und der “selbstverständliche” Griff zu einer kleinen (ca.80cm langen) Orgelpfeife als Basis der gesamten Komposition bleibt für uns alle ein Geheimnis.

 

Dann aber:

Mittels Computer ist es uns möglich, den jeweiligen “genetischen Code” der durch unterschiedliches Anblasen mit dem Mund hervorgebrachten Klänge dieser Orgelpfeife zu analysieren, festzustellen und aus verschiedenen Aspekten zu betrachten (ich spreche hier von einigen wenigen Klängen, die ca. 4” - 10” dauern). Beobachtend lernen wir über die “Verhaltensweisen” des jeweiligen Klanges in verschiedenen Situationen: Laut, leise, hoch, tief, lang, kurz, etc. . Durch Präzisierung der hervorstechendsten Eigenschaften, oder zumindest derer, die unsere Aufmerksamkeit aus dem einen oder anderen (un)vorhersehbaren Grund fesseln (ausschlaggebend sind solche Unwägbarkeiten wie der eigene kulturelle Hintergrund, die momentane Aufmerksamkeitschwelle, die verkrusteten Präferenzen, mit einer Software - die von sich aus bestimmte klangliche Konsequenzen birgt - lieber zu arbeiten, als mit einer anderen) gelingt es, übergeordnete Klang-Schemata zu entwickeln. Diese werden anhand der “Reaktionen” der Klänge so lange nachjustiert oder verworfen, bis das Aufeinandertreffen der verschiedenen, inzwischen zu Konglomeraten angewachsenen Klangkombinationen graduell “voraussehbar” wird und - in eine zeitliche Abfolge gebracht - plötzlich zu ersten Ansätzen eines formalen Ablaufes werden. Das heißt, daß wir aus der dem Klange latent innewohnenden Energie langsam und manchmal mit großer Überraschung den gesamten Ablauf des Stückes “logisch” konstruieren können - vielmehr: Eigentlich ist er in der Urgestalt des vor uns liegenden Klanges perfekt vorhanden und nur unsere imperfekte Interpretation läßt uns an der Formgebung noch zweifeln.

 

 

Zum Schluß:

Auch die räumliche Komposition unterliegt einerseits diesem langen Prozeß der Material=Formbildung und andrerseits den Gegebenheiten des Auftrages: Musik zu schreiben für einen Raum, in dem der Zuhörer unabhängig herumwandert, macht “in stiller Sonne” zu einer perspektivische Komposition. Sechs Tonquellen sind planmäßig im Raum plaziert: durch Annäherung an eine der Tonquellen bestimmt der Zu-Hörer sein eigenes Schärfe-Unschärfeverhältnis zum Gesamtklang, kann seine eigenen Haupt- und Nebenmotive gewichten: Das musikalische Handeln wird ihm zum Gutteil übertragen: Die dreidimensionale Akustik, die der p.t. Hörer-Geher sich erst durch seine eigene, nichtlineare Zeitachse disponiert (durch unterschiedliches Herumgehen und Verweilen knüpft der Besucher sein eigenes Zeitnetz über “In stiller Sonne”) löst die Fixiertheit auf die Logik auditiver und mentaler Bilder auf.

 

Vielleicht herrscht auf Grund der oben erwähnten totalen Kontinuität doch Zaudern, in dieser - allen verfügbaren - Fülle eine eindeutige Gestalt überhaupt noch bestimmen zu können. So ist die Überlegung der immer weiter in sich wachsenden Musik (siehe: eine wahre Geschichte, zweiter Teil) wieder eine aus mehreren Faktoren bedingte Geste: Die in drei verschiedenen Zeitzyklen ertönenden und sich daher immer neu formierenden sechs Klangspuren plus der nichtlinearen Zeitachse des Zuhörers, die wieder neue Varianten gebiert, unterstreicht vielleicht nur den ohnehin schon ephemeren Charakter der GESTALT DER MUSIK.

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