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Yerma

Ballett nach dem Stück von Federico Garcia Lorca
Auftrag der Frankfurter Oper
Uraufführung 1978

Partiturauschnitt

NACHBEMERKUNGEN ZU “YERMA”

 

“YERMA”, enstanden auf Grund einer speziellen Zielsetzung von Fred Howald - nämlich Bewegung und Klang zugleich und in Abhängigkeit voneinander zu kreieren - , war eine meiner wichtigsten Theatererfahrungen: Wenn wir auch trotz eines Jahres gemeinsamer Arbeit (verbal) nicht präzise wissen, wie - wurde Bild und Ton, menschlicher Gestus der Bewegung und der Klangproduktion genauest zu einem Ausdruck verschmolzen.

 

Von den drei “Ballettmusiken” - ich zögere guten Gewissens, diesen Ausdruck zu verwenden - ist “YERMA” die gewagteste, weil konsequenteste und daher wahrscheinlich auch gelungenste Arbeit.

 

Das Komponieren dieser Partitur war von zwei wichtigen Vorraussetzungen geprägt:

 

1 Eine für mich (und wohl jeden Komponisten, da der Beruf eine gewisse    Hermetik voraussetzt) bis dato unvorstellbare Einflußnahme “von außen”, die Schritt für Schritt -  Sekunde für Sekunde die “Dramaturgie des Klanges” mitgelenkt, inspiriert und mitgestaltet hat.

2 Die eigentlich unvorstellbaren Einschränkungen bezüglich Besetzung,

Instrumentierung, Raum, - ja Bewegung der Musiker, denen ich bei der

“Erfindung” unterworfen war.

 

Beides Vorraussetzungen zu einem totalen Crash.

Beides - weil von beiden Seiten (und involvierte Musiker und Tänzer nicht minder miteinbezogen) mit vollkommener Offenheit (und daher unverwundbar) gearbeitet wurde - die einzige Vorraussetzung zu einer Zusammen-Arbeit, die auf Grund mehrerer glücklicher Sternkonstellationen im  Crescendo des synergetischen Effekts zu einem für mich nicht vorstellbaren Ergebnis geführt hat.

 

Von Anfang an war der Komponist dem Choreographen und vice versa ausgeliefert - eine Situation, in die wir uns beide genüßlich, bei vollem Bewußtsein und mit großer Neugier manövriert hatten, nachdem unsere erste gemeinsame Kreation (Valse triste) ein gegenseitig respektvoll anerkanntes Werk geworden war.

Bald war klar, daß die eingangs erwähnten Beschränkungen uns zu weiterer Reduzierung inspirierten und so zum stilbildenden Vorteil umgemünzt wurden.

Der erzwungenen Einbeziehung der Musiker in den choreographischen Ablauf - da wegen nicht vorhandenen Orchestergrabens auf der Bühne plaziert - folgte der logische Umkehrschritt, die Tänzer zur Klangproduktion  mitzubenutzen: Für beide Seiten ein weiterer Grund, die jeweilige Sprache teilweise auf “amateurhafte” Formeln zu bringen, die in ihrer einfachen Klarheit wiederum den kompakten, archaischen Grundmustern bei Garcia-Lorca entsprachen. Waren es einfache Gänge und simples Sitzen für die Musiker, gab es “Instrumente” wie Stein, Stöcke etc. für die Tänzer zu bedienen.

 

Fugierte Bewegungsabläufe wurden benutzt, quasi “automatisch” komplizierteste Rhythmen (Stöcke am Schluß) ohne Taktvorschreibungen für die Tänzer zu kreieren - ruhige, ausladenden Bewegungen wurden durch rieselnden Kies zu oszillierenden Klangflächen, wie sie kein professionelles Orchester schimmernder erzeugen könnte.

Die so einfach anmutenden Materialkombinationen, wie: Stein-Blech, Stein-Stoff, Stein-Stein, Stein-Porzellan - um nur eine stellvertretend zu nennen, erlaubte einerseits eine fein abgestufte Vielfalt von Klangnuancen und wirkte doch andrerseits wie der “natürliche Lauf der Dinge”.

 

Die oben erwähnten “freien” musikalischen Gesten der Tänzer sind jedoch in ein präzises Korsett der die Zeit genau messenden Schlagwerker eingebunden, wie die einfachen Gänge und Gesten der Musiker wiederum genauest von den Tänzern geführt werden. Nicht genug dieser wechselseitigen “Kontrollmechanismen” geht formal die Verschachtelung aber noch weiter, indem die jeweiligen Modelle - sei es Musik, sei es Tanz - immer andere, Auslöser benötigen (bis hin zu einzelnen Triangelschlägen, an bestimmte Schritte einer Tänzerin gebunden, reicht die gegenseitige Abhängigkeit). Die Entscheidungshierarchie über den Fortlauf des Stückes wird ziemlich gleichmäßig auf alle Beteiligten aufgeteilt - alle, Musiker wie Tänzer werden zu jeweils verschiedenen Zeitpunkten temporär zu “Dirigenten”:

Das Stück wird von allen gemeinsam kreiert und erhält letztlich dadurch seine Konzentration im Ausdruck.

 

 

Bruno Liberda, 1996

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